Historische Bestände zur Roten Hilfe Deutschlands
im Hans-Litten-Archiv
von Silke Makowski
Im Sommer 2020 ist dem Hans-Litten-Archiv ein umfangreicher Neuankauf teils einmaliger Dokumente der Roten Hilfe Deutschlands (RHD) geglückt, der nun digitalisiert wurde und auf der Homepage zugänglich gemacht wird.
Das Hans-Litten-Archiv: Fast 100 Jahre Solidaritätsorganisationen der Arbeiter*innenbewegung
Das 2005 gegründete Hans-Litten-Archiv widmet sich der Geschichte der Solidaritätsorganisationen der Arbeiter*innenbewegung und der sozialen Bewegungen, wobei der Fokus auf dem deutschsprachigen Raum liegt.
Jenseits der Bibliothek, die eine große Bandbreite an Büchern zu Repression und Solidarität sowie politischen Gefangenen umfasst, lässt sich der Bestand in den Archivräumen in Göttingen in drei geschichtliche Abschnitte untergliedern:
Die ältesten Archivalien dokumentieren die Aktivitäten der Roten Hilfe Deutschlands (RHD) von 1924 bis in die Phase der Illegalität in der NS-Zeit, was durch vereinzelte Unterlagen anderer proletarischer Solidaritäts- und Hilfsorganisationen der Weimarer Republik ergänzt wird.
Ebenfalls sehr umfangreich sind die Materialien zu den Neugründungen und der Arbeitsweise vielfältiger Solidaritäts- und Antirepressionsgruppen in den 1970er Jahren, die teilweise ebenfalls den Namen Rote Hilfe aufgriffen. Aus dieser Zeit dokumentieren kleinere Sonderbestände verschiedene weitere Kampagnen und Bewegungen gegen bestimmte politische Spektren oder einzelne Repressionsmaßnahmen. Dazu gehören beispielsweise die Rechtshilfegruppen im Umfeld der Startbahn West oder die Solidaritätsgruppen gegen Berufsverbote.
Die neueren Materialien beschäftigen sich mit der bis heute existierenden Roten Hilfe e. V., ihrer Entwicklung und ihren Aktivitäten seit den 1990er Jahren. Dokumente und Publikationen anderer Antirepressionsgruppen der jüngeren Geschichte und Gegenwart ergänzen den Bestand.
Bestände aus den 1920er und 1930er Jahren
Gerade bei den Materialien der Weimarer Republik und der Illegalität ist die Anschaffung von Originaldokumenten schwierig und kostspielig, und Sachspenden sind eine seltene Ausnahme. Aufgrund der sehr begrenzten Mittel als kleine Einrichtung, die keine öffentliche Förderung erhält, ist es kaum möglich, regelmäßig in größerem Umfang Archivalien zu kaufen. Bereits 2010 war dem Hans-Litten-Archiv ein größerer Ankauf geglückt, als bei Renovierungsarbeiten in einem Wohnhaus in Sachsen ein wohl kurz vor der Machtübergabe an die Nazis angelegtes Dachbodenversteck mit RHD-Publikationen und Arbeitsunterlagen entdeckt wurde. Dazu gehörten historische Zeitungen, vor allem bekanntere Periodika wie die beiden Zentralorgane „Roter Helfer“ und „Tribunal“, sowie verschiedene Broschüren, aber auch Organisationsdokumente wie interne Finanzabrechnungen und Mitgliedsausweise. Diese Archivalien bildeten seither den Kernbestand an Originalen aus der Geschichte der Roten Hilfe Deutschlands. Im Jahr 2017 ergänzte eine Schenkung diese Sammlung um mehrere wertvolle Hefte der frühen 1930er Jahre.
Äußerst wertvoll und einzigartig: Publikationen aus den ersten Jahren der Roten Hilfe Deutschland…
Nach mehrmonatigen Bemühungen um Unterstützer*innen und Spender*innen konnte das Hans-Litten-Archiv im Sommer 2020 erneut einen sehr umfangreichen Bestand von RHD-Literatur ankaufen. Neben dem „Rote-Hilfe-Bulletin“ und „MOPR“, die beide vom Dachverband der Internationalen Roten Hilfe herausgegeben wurden, sowie der reichsweit vertriebenen Zeitung für Funktionär*innen, „Der rote Block der Solidarität“, konnte eine große Anzahl von teils sehr raren Broschüren und Flugblättern erstanden werden, die die große Bandbreite der Veröffentlichungen der 1920er und 1930er Jahre widerspiegeln. Das Herzstück des Neuankaufs bilden jedoch regionale Zeitungen der Roten Hilfe Deutschlands aus der Zeit von 1924 bis 1928, bei denen es sich vermutlich teilweise um die einzigen erhaltenen Exemplare handelt. Die meist nur vier Seiten umfassenden Monatsschriften der einzelnen RHD-Bezirksleitungen erschienen als Beilage in den lokalen KPD-Zeitungen, und eine Zusatzauflage wurde an Interessierte vertrieben. Während „Klassenjustiz. Mitteilungsblatt des Bezirks Berlin-Brandenburg“ in verschiedenen Archiven verwahrt wird, sind die beiden sächsischen Periodika nur in wenigen Exemplaren überliefert. 17 Ausgaben von „Die Hölle. Organ der Roten Hilfe für den Bezirk Erzgebirge-Vogtland“, die zwischen Dezember 1924 und Dezember 1926 erschienen sind, konnten für das Hans-Litten-Archiv gesichert werden. Darunter finden sich auch Ausgaben, die nicht einmal in Heinz Sommers Standardwerk „Literatur der Roten Hilfe in Deutschland“ aufgelistet sind. Von ebenfalls fast unschätzbarem Wert ist „Der Rote Sanitäter“, das Nachfolgeorgan der „Hölle“. Seit Sommer 2020 verwahrt das Hans-Litten-Archiv fünf Ausgaben dieser regionalen Zeitung aus der Zeit zwischen Juli und Dezember 1928. Den hohen Seltenheitswert dieses zweiten Monatsblatts der Bezirksleitung Erzgebirge-Vogtland beweist die Tatsache, dass nicht einmal der Titel in Sommers Monografie aufgeführt ist.
…nun auch digital zugäglich über die neugestaltete Webseite des Hans-Litten-Archivs
Um diese Schätze aus der Geschichte der Roten Hilfe Deutschlands einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen, begann das Hans-Litten-Archiv damit, die historischen Bestände aus der Weimarer Republik und der Illegalität zu digitalisieren. Dieser Schritt war unter den Beschränkungen der Pandemie, die die Archivnutzung weiter erschweren, doppelt notwendig geworden. Mit dem Digitalisierungsprojekt war zugleich eine Überholung der Homepage verbunden, die vollständig überarbeitet wurde. Neben den über 200 Zeitungen verschiedener Rote-Hilfe-Gruppen der 1970er, die bereits auf der alten Website zu finden waren, können seit Februar 2021 weitere knapp 200 Archivalia der 1920er und 1930er Jahre als PDFs in verschiedenen Kategorien abgerufen werden, die laufend ergänzt werden. Damit ist es dem Hans-Litten-Archiv nicht nur gelungen, Interessierten eine niedrigschwellige Annäherung an historische Publikationen zu ermöglichen, sondern auch teilweise einmalige Dokumente für die Wissenschaft und interessierte Öffentlichkeit zugänglich zu machen.
Silke Makowski ist Mitglied im Vorstand des Hans-Litten-Archiv e.V. in Göttingen.
Sie beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit der Roten Hilfe Deutschland in ab 1933, u.a. als Autorin von:
Helft den Gefangenen in Hitlers Kerkern. Die Rote Hilfe Deutschlands in der Illegalität ab 1933 (2016).