Projektbericht über das Erbe des Studentenrebellen Hans-Jürgen Krahl

Im Rahmen meines Studiums des Bibliotheks- und Informationsmanagements habe ich das Praxissemester am Hamburger Institut für Sozialforschung (HIS) verbracht. Hier durfte ich sowohl Erfahrungen in der Bibliothek sammeln als auch die Arbeit im Archiv näher kennenlernen. Im Folgenden werde ich nun die Bearbeitung meines Praktikumsprojekts aus dem Archiv beschreiben.

Das Projekt „Hans-Jürgen Krahl“

Kern dieses Projekts war es, den Nachlass von Hans-Jürgen Krahl zu erschließen. Hierfür habe ich zunächst mit einer kurzen Recherche begonnen, um mich über die Person Krahl und den historischen Kontext zu informieren:

Hans-Jürgen Krahl lebte von 1943 bis 1970 und zählte zu den wichtigsten Akteuren der Studentenbewegung der 1960er Jahre (Krahl-Seiten; Prien 2020). 1963 begann Krahl das Studium der Philosophie, Germanistik und Geschichte in Göttingen (Prien 2020), bevor er ab 1965 an der Universität in Frankfurt immatrikuliert war (Verlag Neue Kritik 2018a). Dort besuchte er fortan Vorlesungen von Karl-Heinz Haag und Theodor W. Adorno (Prien 2020), bei dem er mit einer Arbeit über „Naturgesetze der kapitalistischen Entwicklung bei Marx“ promovierte (Voigts 2008).

Bereits 1964 trat Krahl dem Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS) bei (Verlag Neue Kritik 2018a). Ende der 1960er Jahre kamen dann diverse Anklagen und Verurteilungen auf ihn zu, u.a. wegen der Teilnahme an der Besetzung des Instituts für Sozialforschung im Januar 1969 (Verlag Neue Kritik 2018a).

Am 13. Februar 1970 war Hans-Jürgen Krahl auf dem Weg zu einer Paderborner SDS-Gruppe in einen Verkehrsunfall involviert, bei dem er tödlich verunglückte (Verlag Neue Kritik 2018a). Nur wenige Wochen später folgte die offizielle Auflösung des SDS (Verlag Neue Kritik 2018a). 1971 erschien außerdem die erste Auflage von „Konstitution und Klassenkampf“ – eine Sammlung an Aufsätzen, Redevorlagen und Exzerpten zu Themen aus Philosophie, Politik und Zeitgeschehen (Verlag Neue Kritik 2018b; Voigts 2008).

Die Erschließung

Um mich nicht nur thematisch, sondern auch im Hinblick auf die Systematik auf die Bearbeitung meines Projekts einzustellen, habe ich mich zunächst mit dem bereits vor meinem Praktikumsbeginn angefertigten Findbuch auseinandergesetzt. Im Findbuch ist die Systemstelle KRA, zu der der gesamte Krahl-Bestand gehört, verzeichnet und es dient im Erschließungsprozess als Findmittel. Zu dem Archivgut des jeweiligen Bestands enthält es inhaltliche Beschreibungen, Laufzeiten sowie die künftig zu verwendenden Archivsignaturen. Der Krahl-Bestand wurde in zwei Teilen an das HIS-Archiv übergeben und der erste Teil wurde auch bereits bearbeitet. Für die Entwicklung des neuen Findbuchs, welches beide Teile vereint, mussten die einzelnen Systemstellen aus dem vorherigen Findmittel umsortiert und Teile aus der zweiten Lieferung eingeschoben werden.

Ausschnitt aus dem Findbuch
Ausschnitt aus dem Findbuch
FAUST-Datenbank Aufnahme
FAUST-Datenbank Aufnahme

13 Archivboxen, die bis oben hin mit Schnellheftern und losen Papierstapeln gefüllt waren, lagen auf dem Schreibtisch bereit. Unter den Dokumenten befanden sich Schulmaterialien und Unterlagen aus dem Studium, sonstige Exzerpte und Aufsätze, Manuskripte zu seinem Buch „Konstitution und Klassenkampf“ sowie weitere Bücher von und über Krahl: Nun konnte mit der Erschließung begonnen werden. Hierbei bin ich immer Box für Box und Stapel für Stapel vorgegangen.

Wenn ich dann also eine Mappe oder einen Stapel an Dokumenten vor mir hatte, galt es zuerst alles zu entmetallisieren. Sämtliche Heft- und Büroklammern, Heftstreifen oder sonstige metallene Elemente wurden entfernt, um Schädigungen des Papiers durch Rost und Verfärbungen möglichst zu vermeiden, aber zumindest nicht weiter fortschreiten zu lassen.

Anschließend folgte die Sichtung des Materials. Dafür habe ich mir den meist schon in der Box enthaltenen Ausdruck des Findbuchs des entsprechenden Teils des Bestands zur Hand genommen und bin das Archivmaterial durchgegangen. Hierbei habe ich dann die Seiten aus dem Stapel oder dem Schnellhefter entnommen, die ich so auch im Findbuch wiedergefunden habe. Nachdem ich überprüft habe, ob die Angaben im Findbuch mit dem vorliegenden Material übereinstimmen bzw. diese ggf. korrigiert habe, wurden die Unterlagen archivgerecht verpackt. Von großer Bedeutung sind dabei vor allem die besonders alterungsbeständigen Archivboxen und   -mappen, bestehend aus säurefreiem Karton. Jedoch sollte das Archivgut in den Mappen ebenso geeignet verpackt werden. So werden die einzelnen Dokumente einer Signatur jeweils in ein sogenanntes Hemdchen, also in einen einfachen Umschlag aus speziellem, säurefreiem Papier, gelegt. Um nicht nur bei der Arbeit den Überblick zu behalten, sondern auch das Wiederauffinden und damit auch die spätere Nutzung zu erleichtern, werden alle Hemdchen, Mappen und Boxen mit den entsprechenden Signaturen und darüber hinaus auch mit ein paar wenigen Schlüsselbegriffen versehen, die Aufschluss über den Inhalt geben.

beschriftete Archivmappe aus dem Bestand Hans-Jürgen Krahl
Archivmappe aus dem Bestand
Handschriftliches Dokument von Krahl
Handschriftliches Dokument von Krahl

Vor dem abschließenden Schritt – dem Anbringen der Sichtfenster an den Archivboxen – wurde der gesamte Bestand Hans-Jürgen Krahl in die Archivdatenbank eingepflegt. Pro Mappe, also pro Signatur, wurde eine Aufnahme erstellt. Diese umfasst abgesehen von der Zugehörigkeit zu einem bestimmten Teilbestand auch die Alt-Signatur – sofern vorhanden – und inhaltliche Angaben aus dem Findbuch. Darüber hinaus wurden mit dem aufzunehmenden Archivmaterial in Verbindung stehende Personen, Sachbegriffe und die passende Tektonik aus dem Index ergänzt sowie die entsprechende Inventar-Nummer eingetragen. Nach dem Abschluss der Bestandsbearbeitung habe ich eine archivarische Notiz verfasst. Sie besteht aus einer kurzen Bestandsbeschreibung, näheren Informationen zur Lieferung, der Verpackung und dem Zustand der Archivalien, Angaben zum Bearbeitungszeitraum sowie Besonderheiten und dem letztendlichen Umfang des Bestands.

beschriftete Archivboxen
Archivboxen

Insgesamt hat mir das Bearbeiten des Krahl-Bestands sehr gut gefallen und ich habe vor allem auch Einiges dazugelernt. Anfangs fiel es mir zwar schwer, genug in meine Arbeit und mich zu vertrauen und mich nicht zu stark am Findbuch zu orientieren, weil auch dies Fehler enthalten kann, aber genau an diesen Herausforderungen hatte ich letztendlich Spaß. Am meisten begeistert hat mich die Arbeit mit dem Archivgut im Allgemeinen und ganz besonders das Entziffern der nur schwer lesbaren Handschrift von Krahl.

Mit dem HIS als meine Praktikumseinrichtung durfte ich ein tolles Arbeitsumfeld kennenlernen. Der Umgang untereinander war stets fair und kollegial; bei Problemen oder Rückfragen standen mir die Mitarbeiter:innen des HIS jederzeit zur Verfügung. Umgekehrt wurde sich aber auch regelmäßig nach meinem Workload erkundigt.

Mein Fazit

Alles in allem hat mir das Praktikum am HIS nochmals gezeigt, dass ich mich für den für mich persönlich richtigen Studiengang entscheiden habe. Durch die Aufteilung des Praktikums in die Bereiche Archiv und Bibliothek hatte ich die Möglichkeit, zwei Arbeitsfelder parallel kennenzulernen, was sich für mich als sehr wertvoll erwiesen hat und viel Abwechslung in den Arbeitsalltag gebracht hat, ich aber trotzdem genügend routinemäßige Aufgaben erledigen und mich daran gewöhnen konnte.

Melina Skartsaris, Februar 2024

 

Literatur

KRAHL-SEITEN. Helmut Reinicke Für Krahl [online]. Frankfurt am Main: Krahl-Seiten [Zugriff am 16.01.2024]. Verfügbar unter: URL: https://krahl-seiten.de/

PRIEN, Carsten, 2020. Der Unvollendete [online]. Frankfurt am Main: Frankfurter Rundschau GmbH, 13.02.2020 [Zugriff am 16.01.2024]. Verfügbar unter: URL: https://www.fr.de/kultur/gesellschaft/unvollendete-13535960.html

VERLAG NEUE KRITIK, 2018. Hans-Jürgen Krahl [online]. Konstitution und Klassenkampf. Frankfurt am Main: Verlag Neue Kritik, 2018 [Zugriff am 16.01.2024]. Verfügbar unter: URL: https://www.neuekritik.de/autoren/autor/57-hans-juergen-krahl.html

VERLAG NEUE KRITIK, 2018. Konstitution und Klassenkampf [online]. Hans-Jürgen Krahl. Frankfurt am Main: Verlag Neue Kritik, 2018 [Zugriff am 16.01.2024]. Verfügbar unter: URL: https://www.neuekritik.de/buecher/literatur/titel/konstitution-und-klassenkampf.html

VOIGTS, Hanning, 2008. Vom revolutionären Willen, „ohne den die Kritische Theorie nichts mehr ist“ [online]. Berlin: Humanistische Union e.V. [Zugriff am 16.01.2024]. Verfügbar unter: URL: https://www.humanistische-union.de/publikationen/vorgaenge/181-vorgaenge/publikation/vom-revolutionaeren-willen-ohne-den-die-kritische-theorie-nichts-mehr-ist/