Über das Arbeiten an und mit Bibliotheks- und Archivdatenbanken
Zum Jahresende 2024 verlässt unser Kollege Christoph Fuchs nach 36 Jahren das Hamburger Institut für Sozialforschung und geht in den Ruhestand. Als stellvertretender Leiter der Bibliothek betreute er die Anwendung des Literaturverwaltungsprogramms LIDOS und später des flexiblen Datenbanksystems FAUST Professional sowie den Webauftritt verschiedener Datenbanken mit Hilfe des FAUST iServers. Alle Programme sind Produkte der Fa. Land Software-Entwicklung.
Bis heute ist FAUST im HIS-Archiv täglich im Einsatz, sei es bei Verzeichnung von Plakat- oder Fotobeständen, bei der Akten-Bestandsbearbeitung, oder bei der Pflege der Metadaten zur Archiv-Zeitschriftensammlung. Entsprechend führt auch bei Recherchen in den Archivbeständen kaum ein Weg an FAUST vorbei.
Gemeinsam mit Doris Land, der Gründerin und bis heute Inhaberin der Firma Land Software-Entwicklung, unternimmt Christoph Fuchs eine Zeitreise beginnend mit der Aufbruchstimmung in der Softwarebranche Mitte der 1980er Jahre und den Herausforderungen für die Anwender*innen, die EDV-gestütztes Arbeiten erst kennenlernen mussten. Von den Anfängen mit Magnetbändern und dem Commodore CBM 3001 ist die Rede bis hin zu online-Schnittstellen und KI-Lösungen.
"Wir entwickeln immer weiter"
Ein Gastbeitrag von Christoph Fuchs
Archivieren von Plakaten ohne unterstützende Software? Ein Bibliothekskatalog aus Karteikarten? Heutzutage undenkbar. Aber wann hat dies im Archiv und in der Bibliothek des Hamburger Instituts für Sozialforschung begonnen und wie hat sich die EDV gestützte Datenverarbeitung in den Servicebereichen entwickelt? Eine Reise in die Vergangenheit.
Am 23. August 1988 wurde das Literaturverwaltungsprogramm LIDOS 3 gekauft, um Archivbestände elektronisch zu erfassen und bibliografische Daten zu verwalten. Ein elektronischer Bibliothekskatalog war allerdings noch ferne Vision. Ich habe Doris Land, die Gründerin und Entwicklerin von LIDOS und FAUST, am 16. November 2024 in Oberasbach bei Nürnberg besucht und sie gefragt, wie sie aus ihrer Sicht diese Aufbruchstimmung in der Informationsbranche mit den klassischen Einrichtungen, Archiven, Bibliotheken und Dokumentationsstellen, erlebt hat.
Christoph Fuchs (CF): Frau Land, als ich auf Ihrer Website nachgelesen habe, dass Ihre Firma Doris Land Software-Entwicklung mit Sitz in Oberasbach bei Nürnberg bereits 1985 gegründet worden ist, war ich zunächst überrascht. In dem Jahr bereitete ich mich auf das Examen vor und Computer waren überhaupt kein Thema und die Vorstellung, auf einem eigenen PC Texte zu schreiben und die dazu gehörigen bibliografischen Daten verwalten zu können, schien eher eine utopische Vorstellung. Ein Hauch von Science Fiction?
Doris Land (DL): Nicht so ganz. Es gab ja schon den Heimcomputermarkt mit Atari und Commodore.
CF: Konnte man mit denen Texte schreiben? Ich erinnere mich nur an diese Spielkonsolen.
DL: Ja, in der Tat, man konnte Texte schreiben und nicht nur spielen. Für einen solchen Rechner hatte mein Mann und rudimentär auch ich für ein Institut an der Uni Bochum ein Literaturverwaltungsprogramm geschrieben. Und daher kommt dann LIDOS.
CF: Dennoch, wie kommt man in dieser frühen Zeit dazu, in die Software-Branche einzusteigen und eine Firma zu gründen.
DL: Das war sogar noch davor. Wir hatten beide noch in Dortmund studiert und über meinen Schwager hatten wir den Kontakt nach Bochum. Das Institut, für das er gearbeitet hat, hat ein Literaturverwaltungsprogramm gesucht. Daraufhin hatte er meinen Mann gefragt, ob er sich als Student etwas dazu verdienen möchte. Mein Mann schrieb dann das Programm auf dem Commodore CBM 3001 (= europäische Version des PET 2001 mit 32 KB RAM) damals noch nicht auf Diskette, sondern auf Magnetband (Datasette). Aber es gab wenig später mit dem CBM 4040 oder 8050 die Möglichkeit, Erweiterungen der Datenbank auf eine Floppy-Disk (5,25 Zoll) auszuspielen.
CF: Das bedeutet, dass Sie beide aus dem Informatikbereich kommen?
DL: Mein Mann hat tatsächlich Informatik studiert, ich habe Statistik studiert und war nebenbei ein wenig mit Programmieren beschäftigt.
CF: Das Fach Statistik konnte man als eigenes Fach studieren?
DL: Das war tatsächlich nur an der Uni Dortmund möglich. [Anm. Bis heute ist sie die einzige eigenständige Fakultät für Statistik im deutschsprachigen Raum] Der Studiengang wurde [1973] gegründet, zwei Jahre bevor ich mein Studium begonnen hatte. Insofern hatte ich Anfang der 1980er Jahre bereits ein wenig Erfahrung mit Großrechnern.
CF: Dann hat Ihr Mann also auf dem Commodore ein Programm geschrieben, mit der man Literatur erfassen und verwalten konnte.
DL: Ja, das war eine Datenbank, mit der man in den gängigen Felder erfassen konnte, Verfasser, Titel, Quellenangaben, Verschlagwortung, also alles, was ein Sozialwissenschaftler wie mein Schwager für seine Literatur brauchte.
CF: Erstaunlich, denn die Kapazität eines Commodore, d.h. von dessen Arbeitsspeicher war doch sehr gering.
DL: Ja genau. Das wurde damals mit Commodore Basic geschrieben.
CF: Hatte das Programm einen eigenen Namen?
DL: LIDOS. Das war LIDOS 1! (Wir lachen) Deshalb haben wir hier in der Firma gleich mit LIDOS 2 angefangen. Diesmal mit DOS.
CF: War das noch vor 1985?
DL: Naja, 1985 haben wir uns selbständig gemacht. [Anm.: das genaue Gründungsdatum war der 13. März 1985 in Oberasbach]. Wir haben aufgehört, an der Uni zu arbeiten und haben gesagt, wir probieren das. [Anm. 11.11.1986 war die Erstinstallation von LIDOS als DOS-Programm].
CF: Wann war der Übergang von Dortmund nach Oberasbach?
DL: Das war vier Jahre vorher. Ungefähr 1980. Wir waren fertig mit dem Studium.
CF: Wie kamen Sie denn auf Oberasbach?
DL: Zu der Zeit war es schwierig, im Ruhrgebiet Arbeit zu finden. Wir wollten auch möglichst nahe beieinander arbeiten. Dann hat mein Mann bei geobra Brandstätter angefangen. Sie kennen doch die Playmobilfiguren [Anm. der Unternehmenssitz befindet sich in Zirndorf, dem Nachbarort von Oberasbach]. Er hat dort als Informatiker angefangen, ich arbeitete an der Uni Erlangen als Statistikerin in der Biomedizin. Und als ich entschieden hatte, nicht zu promovieren, und die vier Jahre vorbei waren, habe ich das zum Anlass genommen. Dazu kam – der eigentliche Anlass – dass uns das Institut in Bochum fragte, ob wir das Programm für MS-DOS umschreiben könnten. Das wäre eine Neuprogrammierung gewesen und dadurch viel zu teuer geworden. Dennoch haben wir das für uns gemacht und mein Mann hat bei geobra weitergearbeitet, damit wir während der Entwicklungszeit ein festes Einkommen hatten.
CF: Wie lange hat es gedauert, LIDOS für MS-DOS neu zu programmieren?
DL: Ein gutes Jahr. Mein Mann hat nach Feierabend mitgeholfen und mir Vorgaben gemacht.
CF: Sie haben sich also selbst nach und nach in das Programmieren eingearbeitet. Hatten Sie Lust darauf?
DL: Ja, weil selbständig arbeiten, das bedeutete kein Chef, keiner der einem sagt, was man zu machen hat. Am Anfang arbeiteten wir in unserer Wohnung.
CF: Gerne nochmal einen Schritt in diese Aufbruchzeit. Ich sagte eben, dass ich zunächst über das vermeintliche frühe Gründungsdatum der Firma überrascht war. Allerdings wenn man genauer hinschaut, gab es noch mehr sogenannte Kleinrechnerprogramm wie Allegro, Lars oder Masulist. Wir [Anm. Herr Fuchs, Frau Döllner, Herr Schwarz] hatten im März 1990 in Marburg an einer Fortbildung im Rahmen der 14. Jahrestagung der Gesellschaft für Klassifikation teilgenommen, in der »Kleinrechnerprogramme zur Verwaltung bibliographischer Daten« vorgestellt wurden. Allegro-C gibt es heute noch als Open-Source-Paket und ist damals von der UB der TU Braunschweig (verantwortlich damals Bernhard Eversberg) als Bibliothekssoftware konzipiert worden.
DL: Ja, das gibt es noch. Allegro-C war uns immer auch ein Dorn im Auge, da die Mitarbeiter der Bibliothek ihr Gehalt bekamen und das Programm vom Niedersächsischen Ministerium für Wissenschaft und Kultur gefördert wurde. Insofern konnte Allegro zu deutlich günstigeren Preisen abgegeben werden als LIDOS.
CF: Hat man sich als Hersteller ähnlicher Software untereinander gekannt oder ausgetauscht?
DL: Man hat sich wahrgenommen und die Leistungsbeschreibung der Programme registriert, aber sonst nicht. Die Ähnlichkeit der Programme bei der Literaturverwaltung war vorgegeben, bestimmte Standardfelder wie Autor oder Signatur mussten alle anbieten, das lag in der Natur der Sache. Aber im Grunde haben wir unser Ding gemacht und uns wenig um andere Programme gekümmert.
CF: Haben Sie das Programm einer Zielgruppe angepasst? Ich kann mich erinnern, dass LIDOS nicht so wirklich für Bibliotheken geeignet war. Es war schon eine gewisse Herausforderung, Strukturen eines Bibliothekskataloges in und mit LIDOS abzubilden.
DL: Ja, das ist richtig, wir sind aus einer anderen Ecke gekommen. Wir wollten eigentlich Wissenschaftler ansprechen, die ihre eigene Literatur verwalten und mit eigenen Anmerkungen versehen wollten. Wir hatten weniger die bibliothekarische Literaturverwaltung und Katalogisierung im Blick, sondern die inhaltliche Erschließung, Verschlagwortung, Inhaltsangaben, Anmerkungen dazu.
CF: … und es gab Katalogisierungsregeln, die auch in FAUST schwierig umzusetzen waren. Ich erinnere mich an die heute abenteuerlich anmutenden Konstruktionen, in unserem FAUST-Katalog mehrbändige Werke mit ihren Teilbänden abzubilden. Wir hatten aber dennoch nie die Absicht, uns von Ihrem Programm zu trennen. Es war schon eine große Herausforderung, diese Anforderungen in und mit FAUST unterzubringen, geeignete Felder oder auch Importformate zu schaffen, wobei dies auch Spaß gemacht hat.
DL: Da haben Sie Recht, wir haben ja zuerst die LIDOS-Struktur nach FAUST übertragen und dann verallgemeinert. Gerade die Kunden aus den Archiven gaben zu bedenken, dass gerade das klassische Autorenfeld für die Erfassung von Archivalien eine untergeordnete oder gar keine Rolle spielt. Das war der Anlass gewesen zu sagen, wir verallgemeinern LIDOS. LIDOS hatte ja vier fixierte Standardfelder (Autor, Co-Autor, Jahr und Titel) die weder umbenannt noch gelöscht werden konnten.
CF: Das war am Anfang auch gar nicht so schlimm.
DL: Ja, aber die Ansprüche wachsen.
CF: Ich erinnere mich an die Anfänge des Computer gestützten Arbeitens im HIS. Zuerst gab einen zentralen Raum mit mehreren Rechnern und dem Textverarbeitungsprogramm WordPerfect mit der legendären Steuerzeichendarstellung. Es war aber schnell klar, dass die Servicebereiche für die Literaturverwaltung einen eigenen Rechner am Arbeitsplatz brauchten.
Dazu kam im Februar 1989 die Anschaffung eines tragbaren Computers, eines Toshiba 1200, damals sündhaft teuer, auf dem ich ebenfalls LIDOS installierte, um in anderen Bibliotheken Fremddaten aus Datenbanken einzugeben. Der Laptop brauchte noch eine eigene Startdiskette für das Betriebssystem MS-DOS 3.3. – Wie kam es zu der Entscheidung, Anfang der 1990er Jahre, LIDOS und FAUST parallel weiter zu entwickeln? Konnte LIDOS etwas, was FAUST nicht konnte?
DL: LIDOS war das etwas einfachere Programm. Aber für die einfache Literaturverwaltung reichte das. Es gab von Anfang an einen Thesaurus, der dann in einer polyhierarchischen Struktur weiterentwickelt wurde. Außerdem haben wir numerische Felder und Referenzfelder eingeführt. 1991 kam das Bildarchiv hinzu. Noch unter DOS.
CF: Unter DOS!?
DL: Ja, wir haben selbst Scanner-Treiber geschrieben und Drucker-Treiber entwickelt. Von den Herstellern gab es keine Gerätetreiber mit standardisierten Schnittstellen. Vor zwei Monaten erst haben wir diese alten Scannerbeschreibungen aus unserem Archiv entsorgt. Nach dem Motto: das brauchen wir nicht mehr.
CF: Dafür habe ich noch alle Handbücher zu den LIDOS und FAUST-Versionen, sozusagen ein kleines Museum im Büro.
DL: Ja, die haben wir auch noch.
CF: Wie sind Sie bei der Entwicklung der Programme vorgegangen, haben Sie sich zusammengesetzt und überlegt, was brauchen wir noch?
DL: Zunächst haben mein Mann und ich das besprochen und alle Anregungen der Kunden gierig aufgesaugt. Wir haben überlegt, was ist praktikabel und was kann man umsetzen. Dann haben wir die Entscheidung getroffen, drei oder vier MitarbeiterInnen höchstens einzustellen, aber nicht riesig zu werden (Anm.: momentan sind es sechs MitarbeiterInnen) und dann wollten wir das so laufen lassen und gucken, wie weit es geht. Ist ja weit gegangen.
CF: Welche Strategie hatten Sie, um Ihr Produkt zu vermarkten? Präsenz auf den Archivtagen würde mir einfallen, aber wie vermarktete man zu der Zeit eine Software?
DL: Für LIDOS hatten wir ganz am Anfang die Zusammenarbeit mit dem Berliner Verlag EXpress Edition. Wir haben entwickelt und die haben für uns das Marketing übernommen.
CF: Als Buchverlag mit einer Software im Angebot?
DL: Das war kein Problem. Als Buchverlag waren die ohnehin ständig in den Unis und auf Messen. Wir konnten ja etwas zeigen: Auf Messen war ich zum Teil auch mit, und man hatte vor Ort einen Computer stehen. Aufbruchstimmung! Alle Wissenschaftler wollten nicht mehr Karteikarten oder Schreibmaschine schreiben, sondern sich das auch anschauen.
CF: Unser erster Bibliothekskatalog bestand auch noch aus Karteikarten. Wir hatten damals eine Firma akquiriert, die auf Retrokonversion von Katalogdaten spezialisiert war. Ich hatte denen die LIDOS-Struktur gezeigt mit der damals nicht unkomplizierten Satzkennung, bestehend aus einer Adresszeile und eine Kolonne von zwölf Zahlenreihen untereinander mit jeweils zwölf Ziffern. Zusammen mit dem zusätzlichen Programm LIDOS Download 2.0, das noch auf 5,25 Zoll Disketten ausgeliefert wurde, hatte ich versucht, die Datensätze einzuspielen. Das klappte allerdings nie fehlerfrei, so dass ich ein weiteres zusätzliches Programm brauchte, um die Satzkennungen in hexadezimaler Schreibweise zu lesen. So konnte ich fehlerhaft gesetzte CR-LF (Carriage-Return Line-Feed: 0D 0A) identifizieren.
DL: Das war unsere erste Erfahrung mit DIN-Daten und Normen. Die Zahlenkolonnen vorweg entsprachen dem MAB-Import [Anm. Es handelte sich um DIN 1506 »Format für den Austausch von bibliografischen Daten«]. Es war genau vorgeschrieben, dass vor den eigentlichen Daten ein Block kommen muss, wo drin steht, wie lange ein Feld ist und wo es anfängt.
CF: Tja, aufregende Zeiten, zumal für mich als Anwender der Umgang mit Computern und Programmen völlig neu war. Ich musste mich in das Programm und mit dem Programm in diese Welt einarbeiten. Ich kann mich noch an politische Diskussionen erinnern, in denen dystopisch auf die Vernetzung der Welt und die Kontrolle über unser Leben spekuliert wurde. 1987 musste ich in meinem Zweitstudium Bibliothekswesen mit einem IBM Rechner, der eher einem Bullauge glich, simple Programme in Turbo Pascal schreiben. Mein erster XT hatte einen Arbeitsspeicher von 624 KB. Sie haben aber völlig Recht, die Standards stiegen und das Institut war diesbezüglich auch keine Ausnahme. (Frau Land lacht)
DL: Unser erster Rechner hatte 64 KB. (Frau Land zeigt in eine Ecke des Besprechungsraums) Mit zwei Laufwerken für eine Diskette mit dem Programm und eine für die Datenspeicherung. Wir haben ihn dann erweitert für teuer Geld auf 128 KB. Dann haben wir einen XT und AT mit eingebauter Festplatte gekauft.
CF: Ich würde gerne nochmal auf Ihr Marketing zurückkommen. Sie sagten, dass LIDOS zunächst von einem Buchverlag vertrieben wurde.
DL: Ja, bis es zu Meinungsverschiedenheiten kam und wir die Zusammenarbeit aufgekündigt haben. Wir hatten aber schon einen Kundenstamm. Wir hatten LIDOS 3.2. auf LIDOS 3.3. umgestellt, es war das erste Programm, das wir in eigener Regie vermarktet hatten. Dann haben wir angefangen mit Mailings und Messen. Und nicht zu unterschätzen die Mund-zu-Mund Propaganda.
CF: Mir fiel allerdings im Kontakt mit KollegInnen aus der Bibliotheksbranche auf, dass LIDOS und schließlich FAUST weitgehend unbekannt waren. – Übrigens: Wie kam es zu dem Namen FAUST? LIDOS als Abkürzung für Literatur-Dokumentationssystem erschloss sich sofort, aber FAUST? Hatte dies mit der literarischen Figur zu tun?
DL: (lacht). Ich weiß es nicht mehr. An einem (feuchtfröhlichen) Abend hatten wir darüber nachgedacht, wie wir das neue Programm nennen sollten. Eine Variante mit dem Begriff LIDOS oder eine Abkürzung, die zu einem weiteren Akronym werden könnte. Ich weiß es nicht mehr, irgendjemand hatte schließlich vorgeschlagen, das Programm FAUST zu nennen. Vielleicht hat es tatsächlich mit einer Faust-Aufführung zu tun, die damals am Nürnberger Schauspielhaus stattfand.
CF: Waren Archive die Hauptklientel für das Programm FAUST?
DL: Ja und wir bekamen sehr viele Anregungen aus dem Archivbereich. Dann sind z.B. Patentdokumentationen mit FAUST entstanden, es folgten Dokumentationen für Prüfberichte aus Testzentren, die sich dann auch mit FAUST angefreundet haben.
CF: Unser Archiv hat FAUST zum Aufbau einer Plakatdatenbank genutzt. Ich vermute, diese unterschiedlichen Anwendungsmöglichkeiten bringen unterschiedliches Kundenfeedback, das bei der Gestaltung neuer Versionen wertvoll ist.
DL: Tatsächlich arbeiten wir selbst nur eingeschränkt mit dem eigenen Programm. Die gesamte Firmenverwaltung, der Schriftwechsel, alle internen Vorgänge laufen über FAUST. Wir haben eine Kundendatenbank und ein Helpdesk in FAUST eingerichtet. Das ist aber nicht das, was die Kunden an spezifischen Anforderungen haben. Deshalb sind wir auf Feedback und Wünsche angewiesen, auch vorhandene Funktionen bequemer zu machen.
CF: Das könnten Sie auch gar nicht leisten. Sie müssten jede mögliche Anwendung simulieren und jede erdenkliche Situation nachvollziehbar machen. Ich selbst bin auch ein eifriger Nutzer Ihres hervorragenden Supports, muss aber gestehen, dass ich das persönliche Telefonat der Mailanfrage gerne vorziehe. Selbstverständlich schaue ich vorher in das Handbuch. – Haben Sie das Gefühl, dass sich die beiden Programme LIDOS und FAUST in Zukunft mehr und mehr angleichen?
DL: Ja, doch. Außerdem haben wir mit FAUST Entry Museum und FAUST Entry Archiv zwei Komplettlösungen, praxisgerechte Vorlagendatenbanken, die für Institutionen gedacht sind, in denen niemand Zeit hat, um sich in Selbstdefinitionen einarbeiten zu müssen. Insofern wird es LIDOS auch weiterhin parallel geben. In den nächsten News kündigen wir LIDOS 10 an.
CF: Wenn Sie heute in die Glaskugel schauen, was werden in den nächsten Jahren die Anforderungen an ein Programm wie FAUST sein? In den Datenbankrecherchen merke ich seit geraumer Zeit einen Umbruch, die Datenbanken werden noch umfangreicher, es werden KI gesteuerte Oberflächen generiert. Wie sehen Sie die Zukunft der Literaturverwaltung?
DL: Ich denke auch, dass Vieles in Richtung KI gehen wird, wobei ich mir nicht sicher bin, ob das momentan nicht einfach nur gehypt wird, ohne dass wirklich ein Vorteil darin besteht, zumindestens nicht im Bereich der Erschließung. Bei den Recherchen vielleicht schon, dass man freier formulieren kann oder über die KI ähnliche Worte gleich mitgefunden werden. Ich denke, dass bei Datenbankrecherchen solche Erleichterungen kommen werden. Von unserer Seite werden wir das sicher aus FAUST heraus unterstützen.
CF: Für diese Prozesse wird sich auch die Schnittstellentechnik weiterentwickeln, um die Anbindung fremder Software an das eigene Programm besser und reibungsloser zu gewährleisten. Ich erinnere mich, dass Sie mit der Online-Suche in FAUST früh den Versuch gewagt hatten, aus dem Programm heraus in anderen Datenbanken zu recherchieren und dann die Datensätze des Ergebnisses direkt in FAUST zu verarbeiten. Ehrlich, das war nicht wirklich komfortabel. Später haben Programme wie Citavi diesen pfiffigen Gedanken viel reibungsloser gelöst, zB über den ISBN-Tracker.
DL: Wir hatten uns auf die SRU-Schnittstelle capriziert, das ist zwar eine Norm, aber jeder Verbund hat seine Eigenheiten. Wir haben das nicht über ein eigenes Formular gelöst, sondern über die FAUST eigene Struktur. Mal sehen, wie das in Zukunft aussehen wird. Ich denke, hier könnte die KI hilfreich sein. Etwas gebessert hat sich die Situation inzwischen schon, da die meisten Bibliotheken ihre Datensätze in Marc 21 ausgeben. Damit haben wir bessere Möglichkeiten, diese Daten darzustellen und zu importieren. Früher waren die Ausgabeformate und Standards sehr unterschiedlich (zB MAB, Marc, Dublin Core u.a.)
Viel genutzt: Die Handbücher zu den FAUST-Versionen 3 und 5 (in gedruckter Version)
sowie zur aktuellen Programm-Version 10 (inzwischen als PDF)
CF: Wie würden Sie das Verhältnis Ihrer Programme zu der Arbeitssituation von Studierenden beschreiben? An vielen Universitätsbibliotheken war Citavi mal der große Hype mit Schulungen und Campuslizenzen, jetzt ist eher Zotero gefragt. FAUST ist sicherlich zu groß dimensioniert für Studierende. Könnten Sie sich aber vorstellen, LIDOS in Zukunft für diese Zielgruppe attraktiver zu machen und entsprechend zu bewerben?
DL: Da haben wir eigentlich den Zug verpasst. Ich denke, in den Markt kommen wir nicht mehr hinein. Ich frage mich sogar, ob Literaturverwaltungsprogramme überhaupt eine Zukunft haben, oder ob vieles nur noch online geht. Deshalb testen wir mit LIDOS auch Funktionen, die wir dann in FAUST übernehmen. Ein Programm macht den Vorreiter und die anderen Programme erben dann die erprobten Neuigkeiten. Mit LIDOS 10 werden wir eine Übersetzungsfunktion einführen. Man müsste sich in Microsoft Translator oder DeepL registrieren, um diese Hilfen zu nutzen.
CF: Ich fand es schon sehr hilfreich, bei dem Webauftritt über den iServer eine englische Version einer Datenbank anbieten zu können. Mittlerweile kann man in FAUST selbst in dem Menü »Sprachdateien für Internet« Übersetzungen hinterlegen und jederzeit ändern. Das finde ich sehr komfortabel.
DL: Das wird noch komfortabler. Künftig werden die Begriffe automatisch übersetzt.
CF: Wobei es oft spezielle Ausdrücke sind, die ein Übersetzungsprogramm in der Regel nicht erfasst. Wenn ich in google translate oder deepL den Begriff »Vertreterpappe« eingebe, erhalte ich unterschiedliche Vorschläge, nur nicht den englischen Fachbegriff »shelf dummy«.
DL: Man kann ja händisch ändern, aber der erste Schritt ist getan. Das betrifft auch die Feldkommentare, die man nun übersetzen kann.
CF: Was könnte noch im iServer verbessert werden? Komfortabel war zB die Möglichkeit zur mobilen Darstellung, die die Oberfläche flexibler an das Smartphone anpasst.
DL: Das ist noch etwas verbesserungswürdig.
CF: Ich denke, bei alldem gibt es eine Diskrepanz zwischen den notwendigen kaufmännischen Entscheidungen, schließlich muss ihre Firma Gewinn machen, und kann die beiden Programme LIDOS und FAUST nicht kostenfrei zur Verfügung stellen. Auf der anderen Seite suchen Studierende für ihre Bedürfnisse kostenfreie Literaturverwaltungsprogramme zum Download oder als Campuslizenz. Insofern sind Programme wie Citavi oder Zotero in diesem Segment attraktiver. Die Programme sind kostenfrei, von der Kapazität zwar begrenzt aber in der Regel ausreichend und sind mit Windows-, Mac- und Linux-Rechnern kompatibel und zum Teil Quellcode offen. – Gute Gelegenheit, um noch eine Frage loszuwerden: Warum läuft FAUST nicht auf einem Apple Computer und ist kompatibel mit dem Mac Betriebssystem Mac OS?
DL: FAUST für Apple wäre ein komplett neues Programm. Da müsste ich noch fünf Leute einstellen, damit das mitentwickelt werden kann. Das ist auch der Grund, warum wir keine SQL Datenbank als Hintergrund haben. Auch das wäre eine komplett neue Programmierung und ich müsste die Firma für drei, vier Jahre schließen. Mit einem Emulator würde FAUST auf Apple laufen.
CF: In der Praxis hatte das leider nicht funktioniert. Einer unserer Administratoren hatte leider FAUST mit dem Emulator nicht zum Laufen bekommen. – Was läuft im Hintergrund von FAUST, wenn nicht SQL?
DL: FAUST ist ein proprietäres Datenbanksystem, also eine eigene Entwicklung und keine bekannte Struktur wie zB dBASE. Als wir mit LIDOS angefangen haben, gab es das alles nicht für PCs. SQL ist ja auch eine eigene Datenbank, die sich in vielen Funktionen von FAUST unterscheidet (zB Duplizierung von Feldern und Spalten). SQL wäre zwar schön, kann ich aber jetzt nicht mehr umsetzen.
CF: Haben Sie auch die Programmiersprache selbst entwickelt?
DL: Nein, das ist Assembler. Dass wir viele Teile noch in Assembler programmieren, hat dann auch historische Gründe. Auf den alten DOS-Rechnern konnte man basic-Programme schreiben, aber basic-Programme und Text ging nicht wirklich, deshalb haben wir uns für LIDOS eine eigene Datenbankstruktur überlegt.
CF: Kann man sich so etwas patentieren lassen?
DL: Vielleicht. Haben wir aber nicht. Was wir aber patentieren ließen, ist der Begriff LIDOS als Textmarke.
CF: Obwohl das die nahe liegendste Abkürzung ist, LIDOS für Literatur-Dokumentationssystem. Eine der komfortabelsten Neuerungen war aus meiner Sicht die Spezialsuche nach Merkmalen (zB Feld mit / ohne Inhalt) oder die quantitativen Auswertungen. Hatte sich da die Statistikerin in Ihnen zurückgemeldet?
DL: (lacht) Nein, Statistik kann ich nicht mehr. Ich kann gerade noch einen Mittelwert ausrechnen. (lacht). Ich habe die Suche nach Feldern mit Inhalt x-mal für eine Datenübernahme gebraucht. Bevor wir leere Fremdfelder in eine Maske einarbeiten, mussten wir prüfen, sind diese Felder gefüllt oder nicht. So haben wir die Funktion für alle Felder überlegt und in FAUST implementiert.
CF: FAUST als riesiger Baukasten brachte auch immer die Herausforderung, als Anwender Lösungen zu finden, Funktionen auf die eigenen Bedürfnisse anzupassen. Das hat auch Spaß gemacht. Vielleicht wird mir diese Tüftelei im Ruhestand fehlen, wie geht es Ihnen als Entwicklerin, wenn Sie in Rente sein werden?
DL: Allein jeden Morgen aufzustehen und ins Büro zu gehen würde mir sehr fehlen. Nein, ich denke nicht ans Aufhören. Klar, dass Kunden nach der Zukunft der Firma fragen, aber so lange ich noch aus dem Haus komme und geistig klar bin, läuft die Firma weiter. Und wir sind ja eine kleine Firma, ich muss ja keine 30 Leute ständig beschäftigen und bezahlen.
CF: Gibt es nach einer neuen Programmversion auch mal eine Ruhephase?
DL: Wir haben ja immer ein Programm, das in der Entwicklung ist. Wir arbeiten abwechselnd an LIDOS und FAUST, an den beiden Entry-Programmen und am iServer. Wir entwickeln immer weiter.
CF: Frau Land, herzlichen Dank für das Gespräch.
Abbildungen der „LIDOS News“ und „FAUST und LIDOS News“ sowie der FAUST-Handbücher
mit freundlicher Genehmigung der Firma Land Software-Entwicklung, Oberasbach